Wissenschaftliche Texte

 

Aristoteles – Erläuterungen über die „Substanz“

So wie Platon eine Differenzierung zwischen der Welt der Ideen und der Welt der Erscheinungen aufstellte, verallgemeinert Aristoteles diese und nimmt eine kleine, aber entscheidende „Änderung“ vor, indem er nicht mehr von Idee und Erscheinung spricht, sondern von Form und Stoff.

Dies impliziert, dass die neue Aufteilung nun nicht mehr zwei Welten trennt, sondern eine Differenzierung innerhalb der gleichen Welt schafft. So ist z.B. Ton der Stoff, und der Dachziegel ist die Form. Diese Form kann aber auch wieder Stoff für eine andere Form werden. Der Dachziegel ist Form für den Ton aber Stoff für das Dach.

Dabei entstammt der Begriff Stoff nach Aristoteles dem Wort „hyle“, Form entspringt dem Begriff „eidos“.

Nach Aristoteles gliedert sich die Welt in eine Stufenfolge von Stoff-Form-Verhältnissen.

Es sind Stufen der fortschreitenden Bestimmung des Unbestimmten, der Überführung des Möglichen ins Wirkliche, oder – wie man es heute formulieren könnte – der Verwandlung des Unwahrscheinlichen ins Wahrscheinliche.

Reine Form, das Unwahrscheinlichste und zugleich das Realste, ist göttlicher Geist. Er ist die erste Ursache, die aus Form Stoff werden lässt, in allen anderen Dingen sind Form und Stoff gemischt. Somit erklärt sich auch das Leib-Seele-,Problem’ von selbst. Denn Seele ist Form, Leib Stoff. Innerhalb der Seele existiert die gleiche Differenz zwischen vegetativer, animalischer und rationaler Seele. Solange ein Ding sich verändert und sich bewegt, ist es noch nicht vollkommen. Unveränderlichkeit und Ruhe sind also Zeichen der äußersten Vollkommenheit und als diese äußerste Vollkommenheit sieht Aristoteles Gott, da dieser ruht und keinerlei Dynamik mehr unterliegt.

Im Zusammenhang mit transzendenten Dingen, mit denen insbesondere Gott in Verbindung gebracht wird,  taucht der Begriff der „Metaphysik“ auf, welcher sich unter anderem wie folgt zusammenfassen lässt – geschlussfolgert und komprimiert anhand der Schriften (Dialoge) Aristoteles: „Es gibt eine Wissenschaft, welche das Seiende als Seiendes untersucht und das demselben an sich Zukommende. Diese Wissenschaft ist mit keiner der einzelnen Wissenschaften identisch; denn keine der übrigen Wissenschaften handelt allgemein vom Seienden als Seienden, sondern sie grenzen sich einen Teil des Seienden ab und untersuchen die für diesen sich ergebenden Bestimmungen, wie z.B. die mathematischen Wissenschaften. Indem wir nun die Prinzipien und höchsten Ursachen suchen, ist offenbar, dass diese notwendig Ursachen einer gewissen Natur an sich sein müssen.“

Ausgehend von der Metaphysik beinhaltet diese, sowie alles Seiende etwas Unvergängliches, allem zugrunde liegendes, was Aristoteles und auch bereits Platon mit dem Begriff der „Substanz“ zu erklären/nachzuweisen versuchten.

Dabei unterscheidet Aristoteles vier Bedeutungen von Substanz.

Zuerst differenziert er zwischen Substanz und Akzidenzien. Akzidenzien können als Kategorien verstanden werden.

Allgemein formuliert: Substanz ist das Bleibende im Wechsel der Eigenschaften. Betreffend die Sprache könnte gesagt werden: Der Himmel stellt die Substanz dar, die Farbe „blau“ dessen Akzidenz.

Die zweite Unterscheidung impliziert die Substanz als Ursache für das Sein. Innerhalb eines Lebewesens bezeichnet er diese Substanz als psyche und meint damit das, was das Lebewesen insgesamt lebendig macht. Diese „Feststellung“/ Hypothese wirft die Frage auf, was das grundlegend Seiende (Substanz) zu dem macht, was es ist, welches am Beispiel eines Stuhles nicht so leicht zu beantworten ist wie bei dem Menschen. Was macht den Stuhl aus? Geht man nach Aristoteles erster Annahme, wäre die Substanz des Stuhles das Holz. Lehne, Beine usw. Akzidenzien. Aber aufgeteilt in alle Einzelteile des Stuhls wäre jedes Teil eine Akzidenz, und ohne Akzidenzien bliebe von dem eigentlichen Stuhl nichts mehr übrig, außer der Substanz jedes einzelnen Akzidenz.

Dieses führt zu der dritten Unterscheidung der Substanz, nämlich der, dass alle Einzeldinge eine erkennbare Form aufweisen. Ein Quadrat, von welchem man eine Linie loslöst, ist kein Quadrat mehr. Es bestünde aus vier einzelnen Linien. Eine Linie besteht aus Milliarden einzelner Punkte, die jedoch nicht erkennbar sind. Die einzelne Linie wäre also das Choriston, als auch eine Akzidenz (Eigenschaft des Quadrates).

Eine Person, also das, was diese explizit ausmacht, wäre unteilbar. Anders als die Persönlichkeit, der verschiedene Charaktereigenschaften innewohnen, welche abgesondert betrachtet werden können. Die Person an sich hingegen beinhaltet eine Substanz, die „nicht vergeht“.

Die Philosophie sucht immer nach dem Grund von allem, versucht den grundlegendsten Begriff zu finden. Etwas, das alles beschreibt, alles was ist (das Universum, Gott, Leben und Tod). Allerdings existieren nur Annäherungen. Aristoteles meint, es ist alles, was man sieht, aus Erfahrungen her weiß.

Das letzte ist die „Substanz“ – die erste und letzte absolute Gewissheit.

Dabei stellt sich die Frage, ob dieses überhaupt durch den Menschen beantwortbar ist. Nicht einmal die Frage nach der Existenz Gottes kann eindeutig belegt werden. Die Philosophie versucht somit im Bereich der menschlichen Möglichkeiten - mit den größtmöglichen Annäherungen -, existenzielle Fragen logisch herzuleiten und Hypothesen aufzustellen, deren Entsprechung in der „Realität“ es zu „beweisen“ gilt.

Die Grundfrage der Philosophie besteht darin, etwas ausfindig zu machen/ zu erklären, was für sich selbst existiert. Es muss etwas geben, das bleibt, unter allem anderen als Fundament besteht, auf das sich alles aufbaut.

Aristoteles benutzt auch den Begriff „ousia“ stellvertretend für „Substanz“. Usir bedeutet: anwesend, Besitz, etwas, das man hat. Für „ousia“ nennt Aristoteles vier philosophische Bedeutungen.

Die erste Bedeutung erfasst „ousia“ als „das Zugrundeliegende“ (substratum, hypokeimenon) welches für das Letzte, das Äußerste und Zugrundeliegende gleichermaßen steht.

Bedingt nach Aristoteles Differenzierung von Dingen als Materie/Stoff und Form, kann der Stoff als das Zugrundeliegende in Betracht gezogen werden, weil die Form ohne die Materie nicht existieren kann, die Materie der Form also zugrunde liegt. Wenn man von allen materiellen Dingen das Einzelne (choriston) abstrahiert/ abtrennt, alle Eigenschaften, die dieses bestimmte Ding ausmachen absondert, bleibt letztendlich etwas gänzlich Unbestimmbares übrig. Ein solcher bestimmungsloser Stoff erfüllt jedoch nicht mehr das Kriterium der selbstständigen Existenz, da es nicht unabhängig zu anderen Eigenschaften bestehen kann. Allerdings muss dies für das Zugrundeliegende vorausgesetzt werden können, was letztendlich dazu führt, dass der Stoff/ die Materie allein nicht Substanz von etwas zu sein vermag.

Zweitens impliziert „ousia“ für Aristoteles „TO TI EN EINAI“ , was soviel bedeutet wie „Was es war zu Sein“, welches inhaltlich wieder nach dem „Wesen“ der Dinge sucht, nach dem, was ein Ding an sich in seiner Bestimmtheit ausmacht.

Dabei muss erneut eine Unterscheidung getroffen werden, da „eidos“,  also die Form, nicht nur der Materie seine Bestimmung gibt, sondern  ebenfalls Auskunft über die Art (species) trifft, also das was das eigentliche Was ausmacht. Bezieht man sich dabei z.B. auf die tatsächliche Aussage, dass Descartes ein Mensch ist, wird vom Einzelwesen Descartes die Art „Mensch“ geschlossen. Dabei gibt das Menschsein das „Was-Sein“ Descartes an.

Hinsichtlich der Form, wird die Was-Bestimmung erst durch die Materie ermöglicht. So wird z.B durch die Aussage und Tatsache „Descartes Körper besitzt Menschengestalt“, erst durch die Form (Menschengestalt) die Was-Bestimmung beantwortet.

Insgesamt lässt diese Erklärung von „eidos“ die Schlussfolgerung zu, dass „TO TI EN EINEI“ als „Was-es-war-zu-Sein“ die Erfüllung Substanz zu sein zumindest teilweise auf zwei Ebenen zu bestätigen scheint. Erstens als Art der Zusammensetzung verschiedener Einzeldinge, und zweitens als Form unterschiedlicher Komponenten von Einzeldingen.

Drittens differenziert Aristoteles ebenso wie er „eidos“ in Art und Form unterteilt, die Materie/Stoff „hyle“ in Urmaterie und in die 4 Elemente (Luft, Wasser, Feuer, Erde). Die Urmaterie, im Gegensatz zur Materie allg. ist Substanz, weil sie nicht reduzierbar ist auf etwas anderes. Materie vergeht nicht, ist verwandelbar in der Form, aber eine letzte Materie bleibt (letzte Materialität – Urmaterie – z.B. Asche)

Widerspricht dies aber nicht der ersten Bedeutung von „ousia“, dass Stoff/Materie nicht Substanz von etwas sein kann, da nach Abstrahieren jedes choristons etwas gänzlich Unbestimmbares übrig bleibt und deshalb dem Kriterium der eigenständigen Existenz nicht entsprechen kann? Wäre nicht selbst Asche noch differenzierbar in die einzelnen chemischen Stoffe oder zumindest in einzelne „Körner“?

Das konkrete Seiende ist zusammengesetzt aus Materie und Form. Allgemein kann man sagen, dass alles Materie und Form besitzt. Form ist das begriffliche Aussehen (z.B. Stuhl). Aristoteles geht immer als erstes von dem aus, was wir sinnlich erfassen können. Diese Dinge haben alle einen Stoff (Materie). Der Verstand hat dafür einen Begriff (Form). 

Materie ist also nicht erfassbar ohne eine Form. „Eidos“ ist also unabdinglich für die Wahrnehmung von „hyle“. Dabei verbindet Aristoteles die Materie mit dem Begriff „Dynamis“ welcher mit „Möglichkeit“ gleichzusetzen ist. Die Form bezeichnet er als „Energeia“, die Wirklichkeit. Z.B. besitzt ein Samen die Möglichkeit (durch eigene Kraft) zu einer Pflanze zu werden. Die Pflanze erscheint somit als Form, die der Möglichkeit entspringt. Dynamis entspringt dem Wissen, welches aus Erfahrung dem Menschen präsent ist. Energeia ist für den Menschen wahrnehmbar. Dabei existieren zwei Extreme. Zum einen die „erste Materie“, die als Extrem von Dynamis angenommen wird. Diese erste Materie ist reine Möglichkeit und nicht bestimmbar. Als Extrem von Energeia kann „das Göttliche“ betrachtet werden. Das Göttliche besitzt Ewigkeitscharakter und bedeutet reine Wirklichkeit und reine Form, reines Sein. Es ist das einzig Seiende, das sich nicht verändert. Dabei sind beide „Extreme“ Substanzen, da sie nicht reduzierbar sind noch vergänglich sind.

Die Ewigkeit ist diesbezüglich wieder differenzierbar. „Sempiternitas“ bezeichnet dabei das immer Währende aber Veränderbare (z.B. die Sonne), „Aeternites“ steht für überdauernd, als außerhalb der Zeit.

Aristoteles denkt die Ewigkeit als außerhalb der Zeit.

Zeit und Bewegung sind selbst nichts Zeitliches. Bewegung auch hat kein Anfang und kein Ende. Ansonsten müsste man sich was denken können, was außerhalb der Zeit ist und das ist undenkbar. „Es gibt keine Zeit vor der Zeit“. Es muss so etwas wie ein Prinzip geben, das der Bewegung einen Impuls gegeben hat. Es muss etwas existieren, das alles in Bewegung setzt, ohne selber Bewegung zu sein. Dieses Etwas muss außerzeitlich sein. Irgendwann muss ein Punkt angenommen werden können, der selber unbeweglich ist. Etwas ohne Möglichkeiten, sondern reine Wirklichkeit. Es darf nichts mehr geben, was von Möglichkeit zur Wirklichkeit übergehen kann. Bewegung ist der Weg von der Möglichkeit zur Wirklichkeit.

Viertens bezieht sich „ousia“ auf das „Allgemeine“. Demnach geht es um die Ursache des Seins. Nach Platon ist das Allgemeine das, was viele Dinge gemeinsam haben. Aristoteles sieht dieses Allgemeine genau gegensätzlich, nämlich verfolgt er den Grundgedanken, dass die unveränderlichen und ewigen Vorstellungen von den Einzeldingen getrennt sind, also in abgesonderten Seinssphären oder Welten anzusiedeln sind. Daraus könne hergeleitet werden, dass die Ursache jedes Seins eine unterschiedliche ist, jedes Einzelteil eine eigene Ursache in sich trägt, somit das Allgemeine etwas sein muss, dessen Ursache in dem Abgetrennten (choriston) zu finden ist, da die eigentliche Substanz als das Seiende und Zugrundeliegende eines Dings zu definieren ist, von dem es das „Allgemeine“ differenziert zu betrachten gilt.

Das impliziert wiederum eine eigene Identität von dem einzelnen Ding sowie dem Allgemeinen. Beim Herausfiltern unwesentlicher (wobei sich hier wieder die Frage gestellt werden kann: Was ist unwesentlich? Jede Eigenschaft ist doch ein Aspekt/Teil der das Wesen des konkret Einzelnen ausmacht?) Eigenschaften der Einzeldinge, kann jedoch das Allgemeine als eine der wesentlichen Eigenschaften der Einzeldinge aufgefasst werden, welches wiederum dazu führt, dass auch dem Einzelding Allgemeines innewohnt, welches von diesem nicht unabhängig existieren kann - wodurch das Kriterium des Zugrundeliegenden und selbstständig existierenden nicht erfüllt wird, das Allgemeine als Substanz somit ausgeschlossen werden kann.

Fazit:

Den Erläuterungen zufolge kann jedes Ding in Form und Stoff unterschieden werden. Fast alles besteht aus beidem, abgesehen von der ersten Materie, die reinen Stoff darstellt und dem Göttlichen, was reine Wirklichkeit, reine Form ist.

In Bezug auf Lebewesen kann die Substanz noch recht einfach verstanden werden, als das was es lebendig macht, also die psyche. Bei Gegenständen wird es schwierig, weil jeder Gegenstand in einzelne Akzidenzien aufgeteilt werden kann. Ein Stuhl z.B. in Lehne, Beine, „Sitzplatte“. Nach diesem Abstrahieren der Einzeldinge bleibt also nichts übrig, was den Stuhl ausmacht. Es existiert nur noch etwas „Allgemeines“ was den Stuhl ausmachte, das Zugrundeliegende, was in jedem choriston enthalten ist, aber nicht an einem Bestimmten auszumachen ist -  und das „Allgemeine“ ist nicht Substanz.

Nach Aristoteles’ Auffassung, dass Asche Urmaterie ist und somit letzte Materialität und nicht reduzierbar ist – also Substanz sei -, müsse demnach die Asche als zugrunde liegende Substanz eines Stuhles verstanden werden können bzw. eines Stuhlbeines?

Oder nimmt man das Beispiel „Tomate“. Was macht eine Tomate aus? An sich ist eine Tomate ein choriston (Einzelteil) aber an sich unterscheidbar in mehrere Akzidenzien (Farbe „rot“, Haut, Fruchtfleisch usw.) Reduziert man die Tomate auf das Letzte, so wäre es der Samen, der die Tomate ausmacht, was nur in Zusammenhang mit „dynamis“ zu der Existenz der Tomate führen würde. Somit wäre die eigentliche Substanz einer Tomate nicht definierbar.

Letztendlich wären also einzig die „Extreme“ – erste Materie und das Göttliche – als reine Substanzen zu betrachten.

 

Die Frauenbewegung

Die Entrechtung der Frau und ihre Unterordnung dem Mann gegenüber werden über einen langen historischen Zeitraum als völlig natürlich angesehen. Zwar gibt es einzelne Frauenversuche zur Emanzipation, jedoch ändern diese nichts an der grundsätzlichen Diskriminierung. Die Tatsache, dass die Entrechtung der Frau nicht schicksalhaft ist, sondern erst zu einem relativ späten Zeitpunkt der Menschheitsentwicklung auftaucht, wird nicht erkannt oder totgeschwiegen.[1]

Erstmalig weist die erste Frauenbewegung auf die Missstände der Frau hin, welche in jahrzehntelangen „Kämpfen“ eine Gleichberechtigung zu erwirken versucht.

Ist heute die Rede von der Frauenbewegung wird mit dieser fast ausschließlich die zweite Frauenbewegung assoziiert.

Die deutsche Frauenbewegung umfasst zwei Epochen. Die erste datiert von ihren Anfängen 1865 bis 1933. Während dieser Zeit gibt es viele, aber im Wesentlichen zwei – sich gravierend unterscheidende – Richtungen: Die bürgerliche und die proletarische Frauenbewegung, die unterschiedlichen Forderungen und Bedürfnissen nachgehen. Nach 1945 leben verschiedene Frauenverbände aus der ersten Frauenbewegung wieder auf, die heute im Deutschen Frauenrat zusammengeschlossen sind. 1968 entsteht die zweite Frauenbewegung,[2] die für die heutige Stellung der Frau maßgeblich beitrug.

Die Anfänge und gesellschaftlichen Hintergründe - bis zur Entstehung des organisierten Allgemeinen Deutschen Frauenvereins

Die Industrialisierung im 19. Jahrhundert entzieht Millionen von Bauern und Handwerkern die Existenzgrundlage, so dass sie sich als freie Lohnarbeiter arrangieren müssen. Die Entwicklung der Produktivkräfte (neue technische Verbesserungen und Erfindungen wie Spinnmaschinen und die Dampfmaschine), die sich in den dreißiger Jahren auch in Deutschland entfaltet, sorgt speziell für eine Massenbeschäftigung von Frauen und Kindern. Die Arbeitsbedingungen der Frauen sind sehr hart. Die durchschnittliche Arbeitszeit betrifft 14 Stunden täglich (ohne Pause). Es existieren keinerlei Schutzbestimmungen und die Kinderarbeit beginnt im Alter von 4 Jahren. Die Löhne der Arbeiterinnen reichen nicht, um die notwendigsten Bedürfnisse zu befriedigen, so dass viele zur Prostitution gezwungen sind oder an den Folgen körperlicher und geistiger Erschöpfung zugrunde gehen.

Anders ergeht es vielen Frauen aus dem Bürgertum, die aufgrund der industriellen Entwicklung zwar ebenfalls auf außerhäusliche Erwerbstätigkeit angewiesen sind, sich jedoch in Berufen als Lehrerinnen, Hausangestellte und Krankenpflegerinnen betätigen können.[3] „Bildungsbarrieren und Berufseinschränkungen schlossen die Frauen von vorneherein von bestimmten Berufen aus. Außerdem gab es starken Widerstand gegen das Eindringen von Frauen in „männliche Berufe“.

Ideologien wie die über die verhältnismäßige „Leichtigkeit des Gehirns“ der Frauen und ihre geringe geistige Begabung, bedingt durch naturgegebene Geschlechtsfunktionen, die Frauen vom Beruf ausschließen, über die Unvereinbarkeit der außerhäuslichen Erwerbstätigkeit mit dem ,Beruf’ der Frau als Gattin und Mutter, stellen eine zusätzliche Behinderung dar.

Während es der proletarischen Frau in erster Linie um Schutz vor zu viel Arbeit geht, geht es der bürgerlichen Frau um die „standesgemäße“ Zulassung zu Berufen.

Für die Arbeiterin ist die Stellung in der Produktion der Ansatz zur Emanzipation, für die bürgerliche Frau das Geschlecht der Ansatz zur Gleichberechtigung“.[4]

Luise Otto-Peters gilt als Gründerin der deutschen Frauenbewegung und fordert bereits 1843: „Die Teilnahme der Frauen an den Interessen des Staates ist nicht ein Recht, sondern eine Pflicht“.[5] Die Vertreterinnen dieser Frauenbewegung stammen aus der bürgerlichen Mittel - und Oberschicht, die ihre Daseinserfüllung nicht allein im Warten auf ihre standesgemäße Heirat sehen und ihren Lebensunterhalt „standesgemäß“ selbst verdienen wollen.

Zusätzlich schwindet durch technische Fortschritte z.B. in Bereichen der Reinigung, Beleuchtung und Heizung, der bürgerliche Haushalt immer mehr, so dass die Frauen weitaus weniger Zeit und Kraft mit häuslichen Arbeiten verbringen. Dennoch wird trotz der abnehmenden hauswirtschaftlichen Tätigkeiten nicht auf Dienstpersonal, welches als Statussymbol gilt, verzichtet.[6] Dieser Punkt verdeutlicht sehr gut die damals herrschende gesellschaftliche Kluft zwischen Bürgertum und Unterschicht, aus der unterschiedliche Forderungen resultieren.

1865 schließen sich in Deutschland die Frauen erstmalig zu einer organisierten Frauenbewegung zusammen, erfolgend aus der bis dahin ersten Frauenkonferenz Deutschlands, deren Vorsitz Luise Otto-Peters übernimmt. Zum ersten Mal leitet eine Frau eine öffentliche Versammlung, aus welcher der „Allgemeine Deutsche Frauenbund“ hervorgeht, dessen erklärtes Ziel lautet, „die erhöhte Bildung des weiblichen Geschlechts und die Befreiung der weiblichen Arbeit von allen Hindernissen zu erkämpfen“.[7]

Erstmalig in der Geschichte schließen sich Frauen in organisierter Form zusammen, um auf ihre defizitäre Lage aufmerksam zu machen. Die Forderungen der Frauen lassen auf ein selbstbewussteres Selbstbild der Frau schließen, da sie für ihre Rechte zu kämpfen bereit ist.

Schwierigkeiten der deutschen Frauenbewegung

Wie zu erwarten bestehen die Gegner dieser Bewegung zum überwiegenden Teil aus Männern - aller Schichten und Berufsbereiche - die zum Teil sogar versuchen, mit „wissenschaftlichen“ Untersuchungen und Argumenten die Unfähigkeiten der Frauen zu beweisen. Andererseits gibt es aber auch viele Frauen, die an der „männlich dominierenden Welt“ nichts auszusetzen haben, selbst wenn ihr Dasein häufig mit extremer Aufopferung einhergeht, was jedoch der damaligen Idealvorstellung der Frau entspricht. Denn bereits durch die Erziehung, welche der Frau Tugenden wie Bescheidenheit, Schamhaftigkeit und Artigkeit einprägt, hat die Frau von damals gelernt, das Rollenmodell nicht in Frage zu stellen.[8] Selbst wenn sie emanzipatorische Absichten hätte verfolgen wollen, hindert sie der öffentliche Ausschluss aus dem des politischen Lebens und des Bildungssystems, welches einzig in der Hand der Männer liegt, daran, die Durchsetzung von Reformen zu erreichen. Auch finanziell steht sie dem Mann ohnmächtig gegenüber, der über das gesamte Vermögen, als auch über die Verdienste der Frau bestimmt[9].

So scheint es den Frauen nur möglich, vornehmlich durch einwandfreie Erfüllung ihrer Pflichten zu beweisen, dass sie würdig und fähig seien, zusätzliche Pflichten und damit auch verbundene Rechte zu übernehmen, wodurch die Haltung der Frauenbewegung lange Zeit einem resignierenden Charakter entspricht.[10]

Die Frauenbewegung bis zur Übernahme des Nazi-Regimes 1933

Kleine Erfolge sind auf dem Bildungs- und Berufssektor zu verzeichnen, wenn auch der Universitätsbesuch Frauen noch immer verwehrt bleibt.

Einhergehend mit der Jahrhundertwende beginnt eine rege Gründung unterschiedlichster Frauenvereine, von denen sich die Mehrzahl dem BDF anschließt, welcher eine Mitgliedschaft von zweieinhalb Millionen Menschen bis zum Ersten Weltkrieg zählt.

1908 tritt die Vereinsfreiheit in Kraft, so dass Frauen immerhin Parteimitglieder werden können, auch wenn die Möglichkeit zu wählen und gewählt zu werden ihnen nicht erlaubt ist. Dennoch gewinnen sie somit an Einfluss und es kommt in mehreren Parteien zu weiblichen Gruppierungen, die Anliegen der Frauenbewegung zu verwirklichen versuchen, zumindest darauf aufmerksam machen können.

Diese Vielzahl von Frauenvereinen sind Ausdruck für ein neues, verändertes Bewusstsein und Selbstbewusstsein in weiten Kreisen der Bevölkerung.

Die proletarische Seite kämpft erneut gegen den Ausschluss der Arbeiterinnen aus dem Arbeitsprozess. Dieser etabliert sich nach Ende des Krieges wieder.

Neben dem eher konservativen BDF entstehen eine Vielzahl an unterschiedlichen Frauenvereinen, wie z.B. der Verbund der deutschen Hausfrauen, der versuchte das Prestige der Hausarbeit anzuheben, die kommunistische Frauenbewegung und die sozialistische.[11] Dadurch entsteht eine starke Heterogenität in Bezug auf die Wünsche und Forderungen der Frauen, sowie eine allgemeine emanzipierte Grundstimmung in weiten Kreisen der weiblichen Bevölkerung.

Einer der prägnantesten Wendepunkte in der Geschichte der Frauenrechtlerinnen tritt 1919 mit dem Wahlrecht für Frauen ein, durch das die Hauptforderungen nach gleichen Bildungs - und Berufsmöglichkeiten, gleichen politischen Rechten und Pflichten, zumindest offiziell, erfüllt werden.[12]

Die Rolle der Frau von 1933 bis zum Ende des zweiten Weltkrieges

Durch die Übernahme des Nazi-Regimes 1933 löst sich der Bund deutscher Frauenvereine selbst auf, um der Gleichschaltung zu entgehen.

Rudolf Heß - der damalige Stellvertreter des „Führers“ – gründet das Deutsche Frauenwerk, welches zusammen mit der NS-Frauenschaft die endgültige Form der gleichgeschalteten Frauenorganisationen darstellt.[13]

1934 wird Frau Scholtz-Klink die Leitung der NS-Frauenschaft übertragen, deren Reden und Schriften eine getreue Wiederholung von Parteipropaganda und Hitlerzitaten darstellen. Sie selbst liefert dabei die beste Propaganda, einerseits durch ihr äußeres Auftreten mit hochgeschlossener Hemdbluse und einer Haarkranzfrisur, zusätzlich durch ihre elf Kinder, was sie zum Markenzeichen der „deutschen Frau und Mutter“ deklariert.[14]

Das hart erkämpfte Wahlrecht wird den Frauen wieder genommen sowie jede andere politische Einflussnahme.

Auch wenn der Frau allein die Rolle der Hausfrau und Mutter zugebilligt wird, kommt es immer wieder zum Einsatz im Produktionsbereich - unter dem Deckmantel der „vaterländischen Pflicht“, aufgrund der Abwesenheit der Männer, die in den Krieg zogen.[15]

Nicht zu unterschätzen ist die bedeutende Rolle der Frau während des Zweiten Weltkrieges und besonders in der Nachkriegszeit, in welcher „die Trümmerfrau“ symbolisch für Durchhaltevermögen, Härte und physische Kräfte steht, wodurch erstmalig ein widersprüchliches Bild von Weiblichkeit öffentlich geschaffen wird.

Es bedarf zweier Weltkriege, um den Frauen die Chance zu geben, durch Leistungen im Krieg und in desolaten Jahren danach zu beweisen, dass sie Berufsarbeit im allgemeinen ebenso gut verrichten können wie die Männer, und dass sie sogar in außergewöhnlicher Gefahr und Not für ihre Kinder einstehen können. Unter dem neuen Eindruck dieser Leistungen kommt man nicht umhin, die Frauen ernst zu nehmen und ihnen deshalb auch wieder eigene Rechtspersönlichkeit (hinsichtlich der Wahlmöglichkeit) zuzugestehen.[16]

Das Selbstbild der Frau wird dahingehend gestärkt, als dass sie sich der Eigenständigkeit und Fähigkeit, in Unabhängigkeit von dem Mann, ihr Leben „meistern“ zu können, bewusst wird bzw. dieses erstmalig durch eigene Erfahrungen bestätigt erhält - was ihr ein neues Bewusstsein hinsichtlich der eigenen Kompetenzen verschafft.

Die Neue Frauenbewegung bis heute

Ende der 60er Jahre herrscht in Deutschland nach den Jahren des Wiederaufbaus erstmals wieder eine revolutionäre Stimmung, und zwar aufgrund der Studentenbewegung und den Anti-Vietnam-Kriegsprotesten.

Das Wort „neu“ verleitet zu der Annahme, dass frühere fortschrittliche Fraueninitiativen nicht existieren, was durch vorherige Erläuterungen jedoch widerlegt wird. Vielmehr soll mit „neu“ darauf hingewiesen werden, dass in den ersten autonomen Frauenzusammenschlüssen der Studentenbewegung kein historisches Bewusstsein existiert, was die Kontinuität der Frauenbewegung und deren Vorkämpferinnen betrifft.

Dieses Wissen wird in den Schulen sowie in den Medien systematisch unterschlagen, wodurch es Jahre bedarf, bis die neue Frauenbewegung Zeugnisse und Dokumente der Vergangenheit wiederentdeckt und die Möglichkeit hat sich ein Bild über die eigene Geschichte anzueignen.[17]

Den Anstoß zur Gründung einer neuen Frauengruppe in Deutschland gibt der SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund). Die politisch aktiven Frauen prangern das Vorgehen und die Einstellung der Genossen innerhalb der eigenen Partei an. Ihrer Meinung nach würden die Männer zwar wortstark die Unterdrückungsmechanismen der Gesellschaft anklagen, ihr eigenes „anerzogenes diskriminierendes Verhalten den Freundinnen und Genossinnen gegenüber jedoch nicht in Frage stellen, ja sich sogar weigern, die spezifische Frauenproblematik insbesondere in der Privatsphäre überhaupt zur Kenntnis zu nehmen“.[18]

Zu Beginn der Neuen Frauenbewegung besitzt vor allem  „Die Kinderfrage“ Priorität. „Da die Kinder ein Teil der Gesellschaft sind (…) muss die Verantwortung für die Kinder, die ja für die ganze Gesellschaft wichtig sind, von allen getragen werden (…) Der Kampf um die Verantwortung aller für alle Kinder ist der erste Schritt zur Befreiung der Frauen“.[19]

„Die Kinderfrage“ führt zur Gründung von Kinderläden, mit Hilfe derer sich die Frauen mehr Zeit für Studium und politische Arbeit erhoffen. Dieses Anliegen erweist sich jedoch schnell als hinfällig, da es an realistischen Konzepten zur Umsetzung fehlt. Allerdings bringt diese Bewegung eine emanzipatorische Erziehungsdiskussion in Deutschland überhaupt erst in Gang.

Es wird die Frage nach der Handlungsfähigkeit der Frau gestellt und der damit verbundenen weiblichen Identität, mit der eine Abgrenzung zur männlichen Identität geschaffen werden soll. Dabei wird unter anderem auf die spezielle Denkweise, auf unterschiedliche Werte und Lebensentwürfe der Frau hingewiesen unter der grundsätzlichen Einstellung, dass das Geschlechterverhältnis kein gerechtes sei.[20]

Frauen beginnen sich auf sich selbst und ihre Stärke zu besinnen. Sie erstreben eine eigene Weiblichkeit, die nicht wie Jahrhunderte lang zuvor von Männern geprägt und den Frauen aufdiktiert wird. Werte wie Schwesterlichkeit, Zärtlichkeit unter Frauen und Solidarität gelten als erstrebenswert und so helfen und unterstützen sich die Frauen untereinander - unter Ausschluss der Männer. Zum ersten Mal wird Feminismus nicht im Zusammenhang mit politischen Überzeugungen betrachtet, sondern als neue Lebensform, die es Schritt für Schritt zu erkämpfen gilt und die den Zweck verfolgt, die Frau selbst in den Mittelpunkt zu stellen, sie zu emanzipieren, ihre eigene Unzufriedenheit zu benennen.[21]

Ein weiteres Anliegen stellt der Kampf gegen den „Abtreibungsparagrafen“ §218 dar, der ein Verbot für Abtreibungen verheißt. Aufgrund dessen werden Abtreibungsprozeduren häufig heimlich durchgeführt, was zu der Zeit nicht nur teuer, sondern auch erniedrigend und häufig sogar lebensgefährlich ist.[22] Jährlich werden ca. eine Million illegale Abtreibungsprozeduren durchgeführt, von denen laut der Zeitschrift Stern im Jahr 1971 15.000 tödlich für die Frauen ausgehen. In dieser genannten Ausgabe bekennen sich außerdem eine Vielzahl von Frauen öffentlich dazu, Abtreibungen vorgenommen zu haben, was eine Welle der Empörung und  des Aufruhrs in der gesamten Gesellschaft in Gang setzt. Diese Stern-Veröffentlichung wird auch als Auslöser für den erneuten Kampf gegen den Abtreibungsparagraphen gesehen.[23]

Ein zentrales Element der Frauen- und Studentenbewegung ist die „sexuelle Revolution“.

Hintergrund stellt eine repressive und konservative Gesetzgebung, welche es unmöglich macht, dass die Menschen sich „mehr und glücklicher mit ihren Lüsten beschäftigen können“. Die „Himmlerische Polizeiverordnung“ z.B. verbietet bis in die Mitte der Sechziger Jahre, jegliche Werbung für Verhütungsmittel und noch bis Ende der 60er Jahre existiert der „Kuppeleiparagraph“ der Familienangehörige, Verwandte und Vermieter strafrechtlich verfolgt, wenn diese unverheirateten Paaren Räumlichkeiten zur Verfügung stellen, in denen sie hätten „Unzucht treiben“ können. Aufgrund dessen bleibt es unmöglich vor der Ehe zusammenzuleben, was dazu führt, dass viele Paare unaufgeklärt und verängstigt dem Thema Sexualität gegenüber stehen.[24]

Die Neue Frauenbewegung kämpft für die praktische Durchsetzung der damals auf dem Papier erreichten Rechte sowie darüber hinausreichende Perspektiven. Als praktische Beispiele für die Aktivitäten dieser Bewegung stehen z.B. die Gründung von Frauenhäusern, in denen misshandelte Frauen aufgenommen werden, um ihnen Schutz vor ihren Männern zu gewährleisten, die Einrichtung von „Notrufen“ für Vergewaltigungsopfer und die Etablierung verschiedenster Verlage, Buchhandlungen, Zeitungen und Gesundheitszentren, speziell für Frauen.[25]

Der Neuen Frauenbewegung, in Verbindung mit der Studentenbewegung und anderen revolutionären Verfechtern wie z.B. Oswalt Kolle und Alice Schwarzer,[26] ist es zu verdanken, dass die Diskriminierung der Frau wieder in das öffentliche Bewusstsein gerät und das Interesse und die Sensibilität breiter Kreise für die Frauenproblematik in allen Bereichen der Gesellschaft geweckt wird.[27]

Heute sind Frauen den Männern in Deutschland in allen rechtlichen Belangen gleichgestellt, Scheidungen stürzen Frauen nicht mehr in die Existenznot,[28] Vergewaltigungen in der Ehe sind strafbar und theoretisch ist es der Frau möglich, jeden Job zu übernehmen, der früher nur Männern vorbehalten wird. Mittlerweile finden sich auch Frauen in Machtpositionen wieder und sind in der Politik vertreten. Erstmalig in der Geschichte Deutschlands steht eine Frau an der Regierungsspitze und übernimmt den Posten der Kanzlerin, was auch einen symbolischen Charakter für die Frauen besitzt.

Die Frau der heutigen Gesellschaft ist sowohl sozial als auch ökonomisch unabhängig, ist keiner Herrschaft und Ausbeutung mehr unterworfen und steht dem Mann als frei und gleich gegenüber. Sie besitzt die Möglichkeit nach eigenen Wünschen und Vorstellungen ihr Leben zu gestalten. Auch in der Liebeswahl ist sie wie der Mann frei und ungehindert, vermag den Bund der Ehe aus freien Stücken zu schließen, entsprechend ihrer Bedürfnisse und Vorstellungen.[29]

Die Doppelrolle der Frau

In der heutigen pluralistischen Gesellschaft scheint die Ausbildung einer geradlinigen Identität erschwert, da die Frau in jeglicher Hinsicht ihre Lebensführung frei wählen kann. Durch die Vielzahl an Möglichkeiten zwischen denen frau wählen kann, resultiert häufig eine Hilflosigkeit und das Gefühl, den gesellschaftlichen und persönlichen Anforderungen nicht gerecht werden zu können. Ab einem bestimmten Zeitpunkt gilt es für die Frau entscheiden zu müssen, entweder Kinder zu bekommen oder beruflich fortzuschreiten.

Geht man aber davon aus, dass die Frau von heute eine (eigentlich) emanzipierte Rolle (stark, selbstbewusst, aktiv sein, intelligent, erfolgreich im Beruf) und eine familiäre, häusliche Rolle (Kümmern um Kind oder mehrere Kinder, gute Erziehung gewährleisten, den Kindern Zeit widmen, einen guten und ordentlichen Haushalt führen) miteinander vereinbaren soll, steht die Frau vor der schwierigen Situation eine Lösung zu finden, die diese Bereiche koppelt.

Für den Mann ist es heutzutage auch möglich, die Elternzeit und damit die Erziehung des Kindes/der Kinder sowie die Haushaltsführung zu übernehmen, jedoch wird dieses verhältnismäßig selten umgesetzt.

Dies wird auch anhand der qualitativ durchgeführten Umfrage[30] bestätigt: Noch immer scheint der Haushalt und die Kindererziehung vorrangig in „weiblicher Hand“ zu liegen.

In vielen Familien erfordert oft die finanzielle Situation, dass die Frau nach oder auch schon vor Ablauf der Elternzeit die Erwerbstätigkeit wieder aufnimmt.

Für viele Frauen ist jedoch ein Widereinstieg in den vorher getätigten Beruf sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Alternative Arbeiten bieten eine Ausweichmöglichkeit, haben dann aber oft eine schlechtere Bezahlung. 

Die Lösung für viele Frauen besteht darin, dass die Kinder die Hälfte des Tages in einer pädagogischen Einrichtung betreut werden und sie sich eine Halbtagsarbeit suchen.

Daraus resultiert eine permanente Stresssituation eine angemessene Halbtagsarbeit zu finden, auszuführen, also Geld zu verdienen, um den Lebensstandard der Familie zu sichern und das Bestreben, gleichzeitig eine „gute Mutter“ zu sein, also den gesellschaftlichen und auch persönlichen Ansprüchen genügend Rechnung zu tragen.

Dadurch bedingt fühlt sich die Frau häufig überfordert, nicht genug verstanden, unterstützt oder zu wenig für ihre Tätigkeiten honoriert - und das kommt einem Misserfolg gleich, kann also ihr Selbstbild negativ prägen.

Fazit

Die Entwicklung des Einflussbereiches der Frau und den damit verbundenen Assoziationen, was ihren Charakter ausmache und ihre Fähigkeiten anbelange, unterliegt Jahrhunderte lang den Zuschreibungen und Bewertungen der Männer. Aufgrund dessen wird die Frau lange Zeit als minderwertig und minderbegabt dem Mann gegenüber betrachtet.

Hervorzuheben sei die stetige Ausbeutung der Frau, deren Bild je nach gesellschaftlichem Nutzen geformt wird. So muss sie in Zeiten des Krieges schwere Arbeit leisten, in Zeiten des Wohlstandes wird sie zur Mutter und Hausfrau deklariert und degradiert. Lange Zeit kämpfen die Frauen für Gleichberechtigung in der Bildung und Politik, was jedoch im Kontext der gesellschaftlichen Hintergründe immer wieder stagniert - sogar bereits zugesprochene Rechte werden den Frauen, je nach männlichem Ermessen, im Nachhinein erneut entzogen.

Die Zweite Frauenbewegung greift viele Aspekte, die durch die Erste Frauenbewegung nicht verwirklich werden können, wieder auf, erlangt gesetzliche Gleichstellung in jeglichen Belangen und trägt maßgeblich zu einem neuen Selbstverständnis sowie Selbstbewusstsein der Frau bei. Es kann davon ausgegangen werden, dass ohne die damalige Frauenbewegung/en das heutige Bild der Frau ein von den Männern definiertes geblieben wäre und die Frauen den Männern heute nicht gleichberechtigt gegenüber stünden.

Die Doppelrolle der Frau scheint die Anforderungen an diese zu potenzieren und lässt auf eine immer noch existierende „Ungleichheit“ gegenüber den Männern schließen, da Männer diesen Rollen allgemein nicht ausgesetzt zu sein scheinen.

Index:

[1] Vgl. dazu Engels, Friedrich: Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats, in Marx/Engels: Ausgewählte Schriften in 2 Bänden. Berlin: ..,1968, S.155

[2] Nave-Herz 1986, S.7

[3] Vgl. Herve 1982, S. 14ff.

[4] Herve 1982, S. 16f.

[5] Bäumer 1950, S. 332.

[6] Vgl. Nave-Herz 1986, S. 14.

[7] Vgl. Braun, 1979, S. 117f.

[8] Anm. d. Verf.: Vgl. „Die bürgerliche Frau der zweiten Hälfte des 18 Jahrhunderts“ unter 4.1.

[9] Anm. d. Verf.: Die finanzielle Ohnmacht mit denen Frauen ihren Männern begegneten, trifft sowohl auf die proletarische als auch auf die bürgerliche Frau zu.

[10] Vgl. Nave-Herz 1986, S.16f

[11] Anm. d. Verf.: Die drei Frauenbewegungen werden nur kurz erwähnt und nicht weiter erläutert, da in erster Linie die zwei großen Richtungen (proletarisch und bürgerlich) im Vordergrund stehen. Explizitere Ausführungen würden den Rahmen der Arbeit übersteigen.

[12] Vgl. Nave-Herz 1986, S.33

[13] Vgl. Winkler 1977, S. 38ff.

[14] Vgl. Winkler 1977, S. 40.

[15] Vgl. Winkler 1977, S. 109

[16] Vgl. Scheffler 1970, S. 8.

[17] Vgl. Herve 1982, S. 237.

[18] Herve 1982, S. 238.

[19] Herve 1982, S. 239.

[20] Vgl. Heinrichs 2001, S .8f. und S. 10ff.

[21]  Nave-Herz 1994, S. 71.

[22] Anm. d. Verf.: Erst seit 1995 ist die Fristenlösung wieder gültig, die einen Abbruch in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten wieder zulässt, wenn vorher eine Beratung stattfindet. Vgl.: http://www.planet-wissen.de/pw/Artikel,,,,,,,C8B64BF3EB91C6E1E030DB95FBC351B0,,,,,,,,,,,,,,,.html, abgerufen am 16.07.2008. 

[23] Vgl. http://projects.brg-schoren.ac.at/1968/,sexrev.htmm, abgerufen am 17.07.2008.

[24] Vgl. http://projects.brg-schoren.ac.at/1968/,sexrev.htmm, Stand 17.07.2008.

[25] Vgl Spieß 1988, S.64.

[26] Anm. d. Verf.: Auf Alice Schwarzer wird in einem späteren Kapitel in Zusammenhang mit der Zeitschrift Emma wieder auftauchen und näher eingegangen.

[27] Vgl. Herve 1982, S .254.

[28] Anm. d. Verf.: Hier ist von der Norm/Allgemeinheit die Rede. Es gibt natürlich auch heute noch Situationen, in denen im Fall einer Scheidung, die Frau sich in einer Existenznot befindet.

[29] Vgl. Bebel in: Menschik 1976, S. 84.

[30] Anm. d. Verf.: Vgl. Kapitel 10.

 

Wer verantwortet das Böse in der Welt?

Einführung

Ist es möglich, das Böse überhaupt an bestimmten Kriterien auszumachen? Was böse ist kann gleichermaßen subjektive Interpretation sein, andererseits innerhalb einer Gesellschaft definiert werden. Es scheint nicht einfach eine Unterscheidung zwischen Übel (malum physicum) und Bösem (malum morale) zu treffen. Die Theologie differenziert zwischen dem natürlichen Übel, wie Krankheiten, Naturkatastrophen und Bosheiten, die von Menschen ausgeführt werden.  Auf der anderen Seite impliziert „das Böse“ Empfindungen und Verhaltensweisen, die dem Menschen inne zu wohnen scheinen. So wie Hass, Neid, Intrigen und Korruption. Um eine Ordnung in der Gesellschaft, Kirche und Welt schaffen zu können, werden Gesetze geschaffen, die menschliches Handeln in gut und böse kategorisieren, wodurch Zweiteres strafrechtliche sowie sittliche Urteile zu Folge haben kann. Doch lässt eine böse Tat automatisch auf einen bösen Menschen schließen? Kann ein Mensch, der beispielsweise sein Leben lang misshandelt wurde, Verantwortung für sich und andere Menschen überhaupt übernehmen? Ist er zu verurteilen, wenn er böses tut, mit dem Hintergrund, dass er nie etwas anderes erfahren hat? Gibt es so etwas wie den freien Willen oder sind wir allein Produkt unserer Gene und Erfahrungen (Sozialisation) oder viel häufiger von unserem Unterbewusstsein gelenkt, als wir ahnen?

Da es unmöglich ist, diese Fragen konkret zu beantworten, weil diese je nach unterschiedlichen Wissenschaftsgebieten andere Schwerpunkte setzen und lediglich VERSUCHEN Antworten zu finden, werden innerhalb der folgenden Ausführungen verschieden Ansätze zu Rate gezogen, um letztendlich die These zu untermauern, dass es unmöglich ist „das Böse“ explizit zu definieren.

Folgend werden Aspekte des Unbewussten, der Emotion und Motivation im Zusammenhang mit der Ausführung von „bösen Handlungen“ näher zu analysieren versucht.

Das Unbewusste

Neuere wissenschaftliche Forschungen haben ergeben, dass das Unbewusste einen immensen Einfluss auf unser Handeln hat, was somit auch hinsichtlich bösen Handelns eine Erklärungsvariante darstellen könnte.

Viele Menschen gehen davon aus, ihr Handeln kontrollieren zu können und stets Einfluss darauf zu haben. Jedoch ist nur ein Bruchteil der Psyche stets gegenwärtig. Ein Großteil entzieht sich dem individuellen Einfluss und formt „eine unbewusste innere Welt“.[1] Siegmund Freud ist einer der ersten, der in dieses „fremde Terrain“ vordringt und dort „das Böse“, vererbte Instinkte und Reflexe, verdrängte Triebe und Traumata vermutet. Nach ihm würden große Bereiche des Verhaltens durch Kräfte bestimmt, die außerhalb des Bewusstseins liegen.[2] Freud vergleicht schon damals das Unbewusste mit einem Eisberg, dessen eigentliche Masse sich unterhalb des Eisberges ausdehne, das Bewusstsein lediglich die herausragende Spitze bilde. Dieses bestätigen Forscher wie der Neurowissenschaftler Gerhard Roth von der Universität Bremen, der konstatiert, dass die Macht des Unbewussten über die Menschen gewaltig sei. „Der Mensch mit all seiner Ratio meint nur, auf den höchsten Gipfeln zu ruhen und die vertraute Berglandschaft seiner Gedanken jederzeit zu durchschauen“.[3] Einige Naturwissenschaftler ziehen aus den jüngsten Forschungsergebnissen noch drastischere Schlüsse und behaupten, „alle Kreativität, alle Ideen, Ziele, Motive, alle Vorstellungen von der Welt und vom Selbst – alles was der Mensch bisher seinem bewussten Geist zugeordnet hat, sei ein Produkt unbewusster Prozesse“.[4]

Das Unbewusste erzeugt z.B. die scheinbar automatischen Körperfunktionen, wie die Ausschüttung von Botenstoffen und Hormonen sowie die Koordination der Gliedmaßen, Organe und Münder. „Das Telefon läutet. Wie Automaten heben wir die Hand und führen den Hörer zum Ohr. ,Hallo’? Der Mund bewegt sich wie durch Zauberei; durch Lippen- und Zungenakrobatik stoßen wir Laute hervor, die andere verstehen können. Tausende Informationssplitter und Regeln kommen dabei unbewusst zu Einsatz, wie Grammatik, Syntax (…) linguistische Traditionen, spezifisch für unsere Region, unser, Land, unsere Familie. Wären wir uns all diesen Mustern bewusst, die für gesprochene Sprache notwendig sind, würde es Stunden kosten, auch nur einen einfachen Satz zusammenzustottern. (…) In Mikrofraktionen von Millisekunden arbeitet das prozedurale Gedächtnis. Die komplexen erlernten Tätigkeiten können so tief in uns eingebrannt sein, dass wir sie völlig unbewusst – automatisch tun. Wie das Autofahren: Dreißig Minuten bis ins Büro, Stoßverkehr, wie unangenehm der Ärger mit der Familie, warum streiten wir immer über die gleiche Sache…Lange Zeit wissen wir nicht, dass und wie wir den Wagen gesteuert haben. Das Bewusstsein hat dabei keine Rolle gespielt.

Wir scannen wie ein Radarsystem als Erbe unserer Entwicklungsgeschichte die Umwelt, denn schnelles, unbewusstes Registrieren und Reagieren war in grauer Vorzeit überlebenswichtig“.[5]

Millionen von Basiseinheiten an Informationen („Bits“) strömen sekündlich über unsere Sinne auf uns ein, welche wir nicht bewusst wahrnehmen. Nicht mehr als vierzig „Bits“ pro Sekunde nehmen wir bewusst wahr, so dass die Unmenge an Sinneseindrücken und Erfahrungen ins Unterbewusstsein dringen. Davon profitiert insbesondere die Werbebranche.[6] „Werbepsychologen wissen: Viele Wege führen nach unten. Ständige Wiederholungen etwa lassen Produktnamen effektiv ins Unbewusste sickern und beeinflussen das Kaufverhalten. Denn was unbewusst im Gedächtnis schlummert, wird später vertraut und angenehm eingeschätzt – folglich eher gekauft. Musik schlägt ebenfalls eine breite Schneise. Sie bringt Menschen dazu, in Supermärkten in bestimmte Regale zu greifen. Psychologen der Universität Leicester ließen bei einem Versuch jeden zweiten Tag französische Akkordeon-Weisen erklingen. Prompt kauften die Kunden dreimal mehr französischen Wein als deutschen. Bei Beschallung mit Blasmusik griffen sie häufiger zu deutschen Produkten.[7]

Das Unbewusste im Zusammenhang mit den Experimenten (Milgram und Stanford.Prison-Experiment)

Bezieht man diese Aussagen/Erkenntnisse auf das Milgram-Experiment oder das Stanford-Prison-Experiment, so könne die These gewagt werden,  dass durch gewisse Situationsaspekte unbewusste Verhaltensweisen wachgerufen werden, ohne dass sie uns in der bestimmten Situation bewusst sind. Gewisse Handlungen können nicht immanent reflektiert werden, was hinsichtlich der alltäglichen Handlungen notwendig ist, sonst wären automatisierte Tätigkeiten wie z.B. Telefonieren oder Autofahren, wie bereits erläutert, quasi unmöglich. Auch ist biologisch nachweisbar, dass in Stress-Situationen die Wahrnehmung verändert wird und Menschen eher dazu neigen, sich gesellschaftlich konform zu verhalten als nonkonform, weil letzteres eine größere Anstrengung/Kraft implizieren würde.

Emotion

Insgesamt sind, meiner Meinung nach, Aspekte der Motivation und Emotion wichtig, da diese generell dem Handeln, sei es nun gutem oder bösem, zugrunde liegen. Jede Handlung ist durch etwas motiviert und bei jeglichem Zustand, ist eine gewisse emotionale Involviertheit nachweisbar. Aufgrund dessen werden ferner einige Gesichtspunkte diesbezüglich erläutert.

„Psychologen definieren eine Emotion als ein komplexes Muster von Veränderungen, das physiologische Erregung, Gefühle, kognitive Prozesse und Verhaltensweisen umfasst. Diese treten als Reaktion auf eine Situation auf, die ein Individuum als persönlich bedeutsam wahrgenommen hat“.[8]

„Wir fühlen eigentlich immer. Wir fühlen uns gut oder schlecht, wir fühlen Ärger, Stolz, Angst oder Langeweile, wir fühlen selbst dann etwas, wenn wir sagen: ,Ich fühle mich ganz leer’. Allerdings werden manche Menschen dabei eher von Zuständen als von Prozessen sprechen. Beides scheint sinnvoll. Emotionen[9] kann man als prozesshaftes Geschehen erleben (ein Gefühl kommt auf), aber auch als Zustand, der eine gewisse Zeit verharrt“.[10] Emotionen füllen den Menschen gewissermaßen ganz aus, sie können als „leibseelisches Geschehen“ bzw. Befinden definiert werden.

Gefühle bzw. Emotionen sind Formen des Berührtseins und signalisieren, dass man ein Ereignis auf sich selbst bezieht. Weiterhin ist es typisch, dass Emotionen passiv erlebt werden, also als ein Geschehen, das einen „überkommt“.[11]

Charles Darwin z.B. vertritt die Meinung, dass Emotionen sich zusammen mit anderen wichtigen Aspekten menschlicher und tierischer Strukturen entwickeln.

„Er konzentrierte sich auf die adaptiven Funktionen der Emotionen, die er nicht als vage, unberechenbare persönliche Zustände ansah, sondern als hochspezifische, koordinierte Wirkungsweisen des menschlichen Gehirns. Darwin sieht Emotionen als spezialisierte erbliche Gemütszustände an, die zur Bewältigung einer bestimmten Kategorie wiederkehrender Situationen im Leben dienen“.[12]

Sylvan Tompkins ist einer der ersten Psychologen, der die große Bedeutung unmittelbarer, nicht erlernter affektiver Reaktionen hervorhebt. Er weist darauf hin, dass Kinder auf laute Geräusche mit Angst oder Atemnot reagieren, ohne diese Reaktion vorher erlernt zu haben. „Sie scheinen ,vorprogrammiert’ zu sein, auf bestimmte Reize mit emotionalen Reaktionen zu antworten, die allgemein genug sind, um auf eine Vielzahl von Situationen zu passen. Eine in den USA und Japan durchgeführte Studie bestätigte die These, dass manche emotionale Reaktionen universell sind“.[13]

Sowohl die neuere Sozialisationsforschung als auch die psychoanalytische betonen, „dass dem emotionalen Erleben von Anfang an eine soziale Dimension innewohnt. Emotionen werden danach nicht allein triebtheoretisch hergeleitet, sondern es wird davon ausgegangen, dass sie in der sozialen Interaktion gelernt werden“.[14]

Gefühle sind gesellschaftlich geprägt und individuell geformt. Sie müssen kontrolliert, reguliert und arrangiert werden. Gefühle sind Produkt des inneren Aushandelns eines Menschen, werden also auch zum Teil kognitiv gesteuert.[15]

Emotionen und „böse Handlungen“

Da, wie bereits erläutert, Emotionen in der sozialen Interaktion gelernt werden und sich zusammen mit anderen wichtigen Aspekten der Sozialisation entwickeln, könne vermutet werden, dass „böse Handlungen“ insbesondere dann erfolgen, wenn diese von dem betroffenen Individuum nicht als solche erkannt bzw. empfunden werden. Bedenkt man dann, dass wie in der Einführung aufgegriffen, im Extremfall Kinder ohne Zuneigung aufwachsen und kaum oder gar keine Liebe erfahren, ist es verständlich, dass eine Differenzierung von „gut“ und „böse“ hinsichtlich ausführender Handlungen schwierig, sogar unmöglich wird.

Allerdings sind diese Erklärungsversuche hinsichtlich der Experimente hinfällig, da bei den Probanden grundsätzlich keine psychischen Abnormitäten (Stanford-Prison) festgestellt wurden und auch bei Milgram ausgeschlossen werden kann, dass die Mehrheit der Probanden aufgrund einer extrem  „negativen Sozialisation“, die ein verkümmertes Emotionsleben zur Folge hätte haben können, litten.

Da Gefühle stets kontrolliert, arrangiert und reguliert werden müssen und, wie erwähnt, Produkt des inneren Aushandelns eines Menschen sind, können die Situationen, denen die Experimente zugrunde lagen, als solche erachtet werden, die die Probanden in dieser Form noch nie erlebt haben, weil sie innerhalb ihres Sozialisationsprozesses nicht auftraten. Da aber Emotionen anhand sozialer Erfahrungen gelernt werden und diese konkreten Erfahrungen (wie verhalte ich mich innerhalb eine Experimentes) nie gemacht wurden, siegte die Kognition über die Emotion, wobei letztere aufgrund dessen sozusagen einer Verdrängung oder Ausblendung unterlag.

Während der gesamten Entwicklung orientieren sich die Menschen stets an Handlungen Anderer, schlüpfen in verschiedene Rollen und optimieren diese (im Idealfall) ihr Leben lang. Da die Experimente die Probanden in eine ungewöhnliche und unbekannte Situation brachten, erzeugte dieses offensichtlich ungewöhnliche, in diesen Kontexten „böse Handlungen“, von Menschen, die in normalen Alltagssituationen anderen niemals absichtlich und willkürlich Schaden zufügen würden.

Motivation

In Bezug auf die Emotion, sollen folgende Aspekte, die wichtigsten Aussagen komprimieren, um diese in Relation zur Motivation und somit in Verbindung zu „bösem Handeln“ setzen zu können.

„Motivation ist die allgemeine Bezeichnung für alle Prozesse, die körperliche und psychische Vorgänge auslösen, steuern oder aufrechterhalten. Jedes Lebewesen fühlt sich, angeregt von seinen Neigungen und Abneigungen, von bestimmten Reizen und Aktivitätenverstärkern angezogen als von anderen. Motivationstheorien sollen sowohl die allgemeinen Bewegungsmuster einer Art (Spezies) als auch die persönlichen Vorlieben und Leistungen der einzelnen Mitglieder der Art erklären“.[16]

Motivationale Aspekte sind ausschlaggebend für die meisten psychischen Prozesse wie z.B. die Wahrnehmung. Das hieße in diesem Zusammenhang, dass man nur das bewusst wahrnimmt, also bewusst selektiert, was einen interessiert bzw. was einer Motivation zugrunde liegt.

Die Motivation wird in intrinsische und extrinsische Motivation unterschieden. Ersteres bedeutet, dass man etwas aus eigener Motivation heraus tut, ohne dass diese von externen Faktoren abhängig ist. Man sieht z.B. eine Sendung im Fernsehen, weil sie einen interessiert und amüsiert. Extrinsisch hängt mit den Erwartungen der Umwelt zusammen bzw. mit den eigenen Erwartungen und Einschätzungen, die von der Umwelt man auszugehen vermutet. Es wird sich dann z.B. eine Sendung angesehen in der Hoffnung, das erworbene Wissen könne andere beeindrucken. Man erzielt also einen anderen Zweck als den der reinen Lustbefriedigung bzw. des alleinigen inneren Bedürfnisses. 

Motivation und Emotion sind eng aneinander gekoppelt, da bei fast jeder motiviert ausgeführte Handlung eine Emotion dahinter steckt bzw. durch das motivierte Tun entsteht. Bei einem traurigen Film wird durch Empathie Trauer empfunden, bei einer Komödie z.B. fängt man an zu lachen.[17]


Index:

[1] Luczak 2008, S. 104.

[2] Vgl Pervin 1993, S. 99.

[3] Roth 2008 in: Luczak 2008, S. 105.

[4] Luczak 2008, S. 105.

[5] Luczak 2008, S. 107f..

[6] Vgl. Luczak 2008, S. 108.

[7] Luczak 2008, S. 109.

[8] Zimbardo. S. 359.

[9] Anm. d. Verf.: Emotionen und Gefühle werden im Allgemeinen sowie auch hier synonym benutzt, nur die erste, einführende Definition trifft dabei eine Unterscheidung.

[10] Vgl. Nolting 1996, S. 52f.

[11] Vgl. Nolting 1996, S. 53.

[12] Zimbardo 1996, S. 360.

[13] Zimbardo 1996, S. 360f.

[14] Vgl. Luca 1998, S. 17.

[15] Vgl. Luca 1998, S. 40.

[16] Zimbardo 1996, S. 318ff.

[17] Anm. d. Verf.: Reflexion und Wiedergabe erworbenen Wissens durch Studienseminare.

Sonja Schmidt